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Kübra Gümüşay

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Thomas Rohde
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GUTER WILLE, GUTER WILLE…

Hatice bügelt, ich falte. Wir ordnen Teile meines Ceyiz, der Aussteuer, die jede türkische Braut von den Eltern mitbekommt, in meinen Schrank ein. Verziertes Bettzeug, handbearbeitete Handtücher, Decken und Kissenbezüge.

“Frag mich: Bist du glücklich? Bin ich nicht”, sagt Hatice. Urplötzlich. Sie steht vor dem Bügelbrett und hält inne. Ich bin irritiert. Ich kenne sie nur flüchtig, sie kam heute zu mir, um mir ein wenig im Haushalt zu helfen. Ich sehe, wie ihr eine Träne über die Wange läuft. Sie streicht sie weg. “Weißt du, Kübra, ich habe meine Ceyiz nie benutzt”, sagt sie und lächelt mich an.

Hatice ist Mitte vierzig, sie könnte meine Mutter sein. Sie hat traurige Augen, eine leise Stimme und eine herzliche, liebevolle Art. “Warum nicht?”, frage ich und lege die Wäsche zur Seite. Sie erzählt. Mit siebzehn Jahren kam sie als Braut aus der Türkei nach Deutschland zu einem Mann, den sie weder kannte noch liebte.

Ihr Vater hatte den Bräutigam ausgesucht, und mit dem Ceyiz im Gepäck hatte er seine Tochter nach Berlin geschickt. Man versicherte ihr, sie hätten ihr dort eine kleine Wohnung fertig eingerichtet. Nur sie fehle noch.

Sie kam in Berlin an und alles fehlte. Es gab nur die Wohnung der Schwiegereltern, darin eine Matratze im Wohnzimmer und eine kleine freigeräumte Ecke im Kleiderschrank. Fünf Jahre lang. Hatices Ceyiz blieb ungeöffnet im Keller. Es gab kein Zimmer, das sie hätte einrichten, kein Bett, das sie hätte beziehen können.


Mit der Geburt des ersten Kindes zogen sie und ihr Mann endlich aus – raus aus der Wohnung, in der ihre Schwiegereltern alles bestimmten und ihr Mann – “er ist ein liebenswürdiger Mensch” – stillschweigend gehorchte.

Heute hat sie drei Kinder. Ihr Ceyiz ist noch immer ungeöffnet. “Es ist doch nie zu spät. Du kannst noch immer Deutsch lernen und deine Ceyiz auspacken”, sage ich und schäme mich meiner Unfähigkeit, etwas Sinnvolles zu sagen. “Ich habe keine Lebenslust mehr”, entgegnet sie.

Hilflos sehe ich Hatice zu. Ich ärgere mich über all die Menschen, die Fehler machten und die ich doch irgendwie verstehe. Ihren Mann, der aus falsch verstandenem Respekt vor seinen Eltern kuschte; die Schwiegereltern, die in der Fremde um jeden Preis die Familie zusammenhalten wollten, Hatices Vater, der nur das Beste für seine Tochter hoffte.

Nein, guter Wille heilt die schlechte Tat nicht. “Innerlich habe ich ihnen nie vergeben”, sagt Hatice. “Aber ich hatte bereits die drei glücklichsten Momente in meinem Leben: die Geburten meiner Kinder. Sie reichen mir auf ewig.”

Wie kann das reichen, frage ich mich. Ich kann sie nicht verstehen. In mir brodelt es.

Am Abend besuche ich Verwandte in Hamburg. Meine Tante liegt in den Wehen, und als wir in die Klinik kommen, ist das Kind bereits da. Meine Tante liegt erschöpft auf dem Bett und hat noch Schmerzen – aber sie lächelt glücklich. Ihre Augen leuchten. Sie strahlt. Und ich glaube, ich kann ein bisschen verstehen, was das große Glück weniger Momente vermag. Auch wenn es kein Unrecht ungeschehen macht.

taz, Tuch-Kolumne, 13.04.2011


journalist, columnist and author of this blog. a turkish-german muslim juggling politics, feminism, cyberculture and life between germany, istanbul, oxford & the world.

Comments

  • April 15, 2011
    reply

    Interessante Gedanken. Danke dafür. Aber einen Zusammenhang habe ich nicht verstanden: “Du kannst noch immer Deutsch lernen und deine Ceyiz auspacken”?? Ist das Deutschlernen eine Voraussetzung für das Auspacken der Ceyiz? Oder hängen diese Dinge irgendwie miteinander zusammen? Oder ist das Deutschlernen eine Voraussetzung für das Aufheben des Unrechts oder fürs Glücklichsein? Hmm..

  • April 15, 2011
    reply

    Diese menschliche Tragödie erinnert mich an “Das Piano” (http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Piano) und an die vielen anderen “Blind Date”-Verheiratungen, die es bis heute überall auf der Welt immer noch gibt.

    Solche Tragödien zeigen aber auch, welche Privilegien diejenigen geniessen, die das Glück haben, in liberalen Staaten zu leben. Sicherlich ist auch dort nicht alles eitel Sonnenschein, aber wenn man dort nicht das Pech hat, ökonomisch und sozial benachteiligt zu sein, eröffnen sich dort erheblich mehr Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben.

    Das wünsche ich auch all den anderen Muslimen in den arabischen Staaten, die jetzt ein anderes Leben wollen.

    @Omar
    Möglicherweise liegt es an einer Leseschwäche, unter der Sie leiden – im schlimmsten Fall handelt es sich jedoch um eine Verständnisschwäche – , aber Kübra hat doch den Gesamtzusammenhang eindeutig erklärt:

    “(…) Du kannst noch immer Deutsch lernen und deine Ceyiz auspacken”, sage ich und schäme mich meiner Unfähigkeit, etwas Sinnvolles zu sagen.

    Braucht es da wirklich noch ein Manual, um das zu verstehen?

  • April 16, 2011
    reply

    Eine traurige Geschichte… es ist unglaublich wie viel Kraft eine Frau haben kann, um weiter zu machen, auch wenn sich nicht viel ändern sollen könnte.

  • April 17, 2011
    reply

    UNUTURSUN MİHRİBANIM

    Unutmak kolay mı deme
    Unutursun Mihribanım
    Oğlun kızın olsun hele
    Unutursun Mihribanım

    Hayat böyle bu gemide
    Eskiler yiter yenide
    Beni değil kendini de
    Unutursun Mihribanım

    Yıllar sineme yaslanır
    Hatıraların paslanır
    Bu deli gönül uslanır
    Unutursun Mihribanım

    Zaman erir kelep kelep
    Meyve dalda durmuyor hep
    Unutturur bir çok sebep
    Unutursun Mihribanım

    Gün geçer azalır sevgi
    Değişir herşeyin rengi
    Bugün değil, yarın belki
    Unutursun Mihribanım

    Süt emerdin gündüz gece
    Unuttun ya büyüyünce
    Bu işte tıpkı öylece
    Unutursun Mihribanım

    (ABDURRAHİM KARAKOÇ)

  • Mai 27, 2011
    reply

    Anonymous

    In welchem Geist wird sie ihre Kinder erziehen; zu Heldenmüttern und Muttersöhnchen von Islamisierung, Türkentum und Eroberung?

    Ich hoffe, dass spätestens ihre Enkel diese ganze Scham- und Gehorsamsmischpoke hassen werden und das Land für Freiheit und Persönlichkeit zurückerobern werden.

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