DEUTSCHLAND, WIEDERENTDECKT.
Als wir vor dem hohen, grau verputzten Hamburger Altbau standen, in der ich gleich eine Wohnung besichtigen würde, fasste mich mein Vater lachend am Arm. “Kübra, das ist das gleiche Haus, in dem wir vor fast 40 Jahren lebten. Damals, als wir zum ersten Mal nach Deutschland kamen.” Überrascht drehte ich mich zu meinem Vater. “Wirklich? Genau dieses Haus?” In just diesem Gebäude fanden meine Großeltern ihr erstes Zuhause – allerdings im 5. Obergeschoss, eine Qual für die Beine. Erst recht für meine damals hochschwangere Großmutter. So zogen sie schon noch einem Jahr weiter. Doch hier in dieser Gegend lernte mein Vater seine ersten deutschen Wörter, entdeckte dieses Land, in dem er später Fuß fassen, heiraten und seine eigene Familie gründen würde.
Nun, knapp 40 Jahre später, stand er mit mir, seiner Tochter, die inzwischen ihrerseits eine eigene Familie gegründet hatte, vor dem gleichen Haus. Auch sie auf der Suche nach einem Zuhause.
Die vergangenen Monate waren eine Wiederentdeckung für mich. Eine Wiederentdeckung Deutschlands, meiner Familie, ihrer Geschichte und Teile meines Ichs. Schon in meiner Studienzeit hatte ich immer wieder längere Zeit im Ausland verbracht, seit über vier Jahren lebte ich hauptsächlich in der Ferne, war aber nie ganz weg. Ich wollte nicht und konnte nicht. Mehrmals im Monat reiste ich nach Deutschland und versuchte an einem Wandel für eine tolerantere, offenere, freundlichere Gesellschaft mitzuwirken. Dann, Anfang des Jahres, als ich diesen Text für Die Zeit schrieb, hatten mein Mann und ich einen Entschluss gefasst: Nach über vier Jahren im Ausland, Stationen in Istanbul, Kairo, London und Oxford, wollten wir es nun in Deutschland probieren. Für eineinhalb Jahre, vorerst.
Hamburg, dear Heimatstadt, here we come!
Euphorisch begann ich meinen Start in Deutschland. Was ich in diesen vier Jahren vergessen hatte: Die rigorose deutsche Bürokratie, die teils kleinkarierte Regelobsession (um einen Juristenfreund zu zitieren: “Deutschland ist kein Gerechtigkeitsstaat, sondern ein Rechtsstaat”) und den schrecklich angespannten Hamburger Wohnungsmarkt. Über zwei Monate legte ich die Arbeit auf Eis und widmete j.e.d.e.n e.i.n.z.e.l.n.e.n Tag den BürokratInnen und MaklerInnen dieses Landes. Dennoch regnete es Absagen und Fehlschläge. Anträge gingen hin und her, keine bürokratische Hürde ließ sich ohne langwierige Recherche und schier unendlich lange Beratungsgespräche klären. Es waren jedoch in erster Linie die MaklerInnen, die meine Euphorie schwinden ließen – gelinde ausgedrückt.
Regelmäßig stand ich vor Wohnungen und bekam von MaklerInnen zu hören, dass man mir die Wohnung doch nicht zeigen möchte. “Warum?” fragte ich. “Ich diskutiere nicht mit Ihnen!”, sagten sie. Wenn ich es dann mal durch die Tür schaffte, wurde ich mit großen Augen empfangen und widerwillig durch die Wohnung geführt: “Ich habe gelesen, es wird eine neue Küche eingebaut. Wie wird sie aussehen?” – “Wie eine Küche halt!” Der Makler steht im Flur und zeigt grob fuchtelnd in Richtung Küche. Dann dreht er sich um und geht zu den anderen Mietinteressenten, denen er wenige Minuten später ausführlichst die neue Küche beschreibt.
Ich war und bin es gewohnt, ich zu sein. Ehrlich und authentisch. No matter what. Nie sah ich mich derart genötigt, jemanden gefallen zu müssen: Die Maklerbranche weiß um die Abhängigkeit der Suchenden und nutzt sie schamlos aus. So übte ich mich darin möglichst bürgerlich, weiß und überdeutsch zu wirken, um den Maklern zu gefallen. In Smalltalks erwähnte ich “beiläufig”, dass wir aus Oxford hierher gezogen sind. Dass mein Mann und ich belesen, studiert, gebildet sind, ein regelmäßiges Einkommen haben, wirklich, wirklich angepasst sind und natürlich hervorragend Deutsch sprechen. All das, um zu beweisen, dass wir eine menschenwürdige Behandlung verdient haben (Sarcasm off). Denn mein Erscheinungsbild reicht hier offensichtlich nicht aus, um respektvoll und freundlich behandelt zu werden. Es ist immer wieder erstaunlich und traurig, wie ein kleines bisschen Entscheidungsmacht aus sonst womöglich ganz normalen Menschen machtlüsterne, arrogante Unmenschen machen kann. So kam es, dass jedes Mal, wenn sich MaklerInnen als nette Menschen entpuppten (die gab es nämlich durchaus auch – sie seien hier herzlich gegrüßt!), ich mich zurückhalten musste, um ihnen nicht jubelnd zum Menschlichsein zu gratulieren und eine Medaille um den Hals zu hängen.
Kurzum: Der Start in Deutschland war holprig. Und trotzdem genau richtig so. Im Türkischen sagen wir “hayırlısı olsun”, im Arabischen “khair inshAllah”, also möge das geschehen, was gut und gesegnet für uns ist – auch wenn es nicht das ist, was wir uns wünschen. Dieser Satz geht einem leicht über die Lippen. Oft sagen wir ihn tröstend, denn insgeheim sind wir trotzdem enttäuscht, wenn unsere Träume nicht Wirklichkeit werden. Ich habe in den vergangenen Monaten gelernt, diese Worte ernst zu nehmen. Ich lernte, sie nicht nur zu sprechen, sondern auch mit dem Herzen zu fühlen. Erst das half mir, mich gegenüber den täglichen Grenzüberschreitungen zu schützen. Am Ende waren mir die Maklerbranche und die erniedrigenden Erfahrungen tatsächlich egal. Was mir blieb war große und tiefe Dankbarkeit. Dafür, dass ich lernen durfte. Dafür, dass ich mich in Geduld üben durfte. Dafür, dass ich in einer Lebensphase, in der nichts Sinn zu machen schien, Sinn fand. Dafür, dass ich an Stärke gewann – wohlwissend, dass ich den Luxus (und damit einhergehend: Verantwortung) habe, auf diese Probleme hinweisen und sie öffentlich machen zu können – für andere. Dass ich nicht zum Schweigen verdammt bin.
In den Wochen danach entdeckte ich den Blick für die Schönheiten wieder, die mich aus der Ferne euphorisch machten: Der Wandel, die Bewegung, die Energie und die großartigen Menschen, die dahinter stecken. Menschen, deren Augen strahlen, ehrlich und aufrichtig. Ich freue mich und genieße es, zurück zu sein.
Letztlich klappte es nicht mit der Wohnung in dem Haus, wo meine Familiengeschichte in Deutschland ihren Anfang nahm. Am Ende wurde es eine Wohnung dort, wo meine Familie ihre Wurzeln schlug und ihr Glück fand. Eigentlich hätte ich das von Anfang an wissen und fühlen können. Ich brauchte nur etwas Zeit, um mit dem Herzen zu sprechen: Hayırlısı olsun.
Hamburg, Deutschland, wir sind zurück!
Abu Waleed
Ich wuensche Ihnen und Ihrer Familie in Deuschland ein schnelles wiedereinleben
Sanftwut
Ach wie wunderbar.Willkommen zurück, wir brauchen Dich!
ruki
Willkommen daheim, Kübra Abla! :-)
Ela
Hosgeldin, Willkommen in Alamanya, liebe Schwester!
Masallah, ich liebe deinen Schreibstil!
Von der, sagen wir” schwierigen” Wohnungssuche als Muslimin mit Kopftuch, kann ich nicht nur ein Lied, sondern
ein Lp trällern. Ich bin derzeit Studentin, und habe mir schon einige Wohnungen angesehen, die studenten gerecht sind, aber es kam immer eine Ablehnung. Viele schreiben nicht einmal auf eine schriftliche Anfrage zurück(hier kann lediglich via Mail Kontakt aufgenommen werden), hier liegt der Verdacht nahe, dass aufgrund des ausländischen Namen meine Anfrage direkt in der Ablage landet…
Ich pendele derzeit weiterhin und habe meinen Umzug verschoben, es ist anstregend, aber funktioniert.
Es ist,wie du selber formulierst, von äußerster Wichtigkeit, dass du über solche brisanten Themen berichtest.
Abschließend möchte ich eines meiner Lieblingszitate von einem sehr intelligenten Mann, Namens A.Einstein hinterlassen:
“Der Horizont der meißten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius Null. Und das nennen sie dann ihren Standpunkt.”
Emaneten indellah
F
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