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Kübra Gümüşay

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WESTLIEBE

Nazim heißt er und er gehört in den Westen.

Groß und gerade steht Nazim, etwas breit. Er hat eine kräftige Statur. Seine gebräunte Haut ist ledrig, die Zähne vergilbt vom Rauchen. Doch man sieht sie ohnehin nur selten, denn er redet nicht viel. Und wenn, dann bebt sein ganzer Körper. Seine tiefe Stimme hallt in der Brust, vibriert. Er ist ein verschlossener Mensch. Mit seinen tiefschwarzen Augen beobachtet er aufmerksam und durchdringend die Menschen um ihn herum – Menschen, die ihm durch seine Arbeit als Polizist fremd geworden sind.

Nazim ist angekommen. Als sich die Türen öffnen und er seinen Bruder hinter der Absperrung am Berliner Flughafen entdeckt, steckt Nazim seine goldene Halskette unter sein Hemd. Der Bruder braucht sie nicht sehen.

Zusammen betreten sie die Wohnung des Bruders. Es riecht nach türkischem Gebäck und Essen. Sein Blick schweift langsam über die arabischen Kalligraphien im Flur und bleibt an dem Kopftuch seiner Schwägerin hängen. Sie nickt ihm zu und zwingt sich zu einem Lächeln. Er öffnet seinen Mund, um etwas zu sagen, und schließt ihn gleich wieder seufzend. Es lohnt sich nicht.

Die kleine Nichte tritt heran, um ihm die Hand zu küssen. Er zieht sie weg und streicht ihr stattdessen kurz über das Haar. Hier und trotzdem rückständig.

Beim Abendessen reden nur Nazim und sein Bruder. Ein bisschen über die Kindheit und Fußball. Keine gefährlichen Themen. Die Schwägerin schweigt und stochert lustlos auf ihrem Teller herum. Dann gehen den Brüdern die ungefährlichen Themen aus. Nazim wartet noch einen Moment und bedankt sich dann für das Essen. Jetzt schnell.

Umgezogen steht Nazim an der Tür zum Wohnzimmer. Er schaut kurz rein und hebt die Hand zum Abschied. Sein Bruder, der mit Tee, Mandeln, Nüssen und gesalzenen Sonnenblumenkernen auf ihn wartete, schreckt überrascht hoch und eilt ihm nach. Er kuckt Nazim wortlos an. Du bist doch erst heute aus der Türkei gekommen. Willst du dich nicht ausruhen? Wortlos schaut Nazim zurück. Ich bin nicht wegen dir hier, das weißt du.

Draußen knöpft Nazim sein Hemd auf. Die goldene Kette kommt zum Vorschein. Praktizierende muslimische Männer tragen kein Gold. Rückständige tragen kein Gold.

Ich bin hier, sagt Nazim sich. Endlich. Nur um hier zu sein, ist Nazim in der Türkei auf die Polizeischule gegangen. Irgendwann als Kommissar würde er mit einem yesil pasaport, dem grünen Pass für hohe Beamte, Europa bereisen. In die Wiege der Moderne wollte Nazim. Und ausgerechnet sein Bruder lebt hier. Der rückständige, religiöse Bruder. Er hatte sich in die Tochter der deutschtürkischen Familie, die jeden Sommer in der Nachbarwohnung lebte, verliebt und war mit ihr nach Berlin gezogen. Seit acht Jahren lebt er mit seiner Familie hier, während Nazim in einer kleinen Stadt an der Westküste der Türkei Streife fuhr. Alleine. Ich, ich gehöre hierher.

Nazim ignoriert die türkischen Imbisse, den libanesischen Supermarkt, das italienische Restaurant. Das ist es nicht. Das auch nicht. Das auch nicht. In einer Seitenstrasse, endlich, entdeckt Nazim eine Kneipe. Als er die Tür öffnet, weht ihm eine Alkoholfahne ins Gesicht. Nach Bier riecht es hier. Ein bisschen klebrig ist es von dem Frittierten, das hier verkauft wird. Er setzt sich an den hintersten Tisch des Raumes, von dort aus kann er alles beobachten. Als die Kellnerin kommt, zeigt er auf ein Bier in der Karte. Er trinkt und trinkt. Und beobachtet.

Die korpulente Frau hinter der Theke mit dem lauten Lachen. Ihr rotes Unterhemd zeigt einen tiefen Ausschnitt, der immer weiter rutscht, wenn sie lacht. Und der Mann im karierten Hemd, der sich weit über die Theke lehnt, macht weiter Witze. Der alte türkische Mann mit dem vernarbten und eingefallenen Gesicht, der seit Ewigkeiten vor ihm sitzt und ihm sein Leid erzählt, schnappt sich sein Glas. Nazim lacht. Die Touristen sind hier.

Die Touristen, die jeden Sommer den Westen in seine türkische Kleinstadt bringen und die Cafes füllen. Wegen derer die Stadt die Palmen auf den Mittelinseln wässert und die Clubs und Bars wieder auch in der Woche länger aufhaben. Die, die Geld bringen. Und Freiheit und Sorglosigkeit. Hier sind sie und ich bin bei ihnen. In der Moderne.

An einem warmen Sommerabend steht Nazim am Ufer der türkischen Kleinstadt und während seine Augen nur bis zum Horizont des rauschenden Meeres reichen, sind seine Gedanken schon viel weiter. Im Westen war er noch nie.

Dieser Text erschien in zunächst in gekürzter Form in der taz-Tuch-Kolumne am 01.02.2012

journalist, columnist and author of this blog. a turkish-german muslim juggling politics, feminism, cyberculture and life between germany, istanbul, oxford & the world.

Comments

  • February 5, 2012
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    Wunderschön, Kübra. Ich bin so stolz auf dich, auf deine Gedanken, deine Art zu schreiben. Das ist komisch, aber wahr ..

  • February 6, 2012
    reply

    Danke, danke sehr! :)

  • February 9, 2012
    reply

    ich kann den text nicht gut nachvollziehen. Er beschreibt, ja aber was sagt er?
    Eine gegensätzlichkeit? die beschreibung des vorurteils? das “wahre” deutschland der feisten halbnackten, der alkis? Das “wahre” Deutschland der rückständigen Türken, der Frauenmisshandler, der devoten unterdrückten?

    Warum den Fokus auf die Dicke mit dem tiefen Ausschnitt?
    Warum liegt der Fokus auf.. hmn.
    der bestätigung von Vorurteilen.. (Wo rauch ist, ist auch feuer sagt man.)
    Sind das die Touristen die das Bild deutschland prägen? Überninmmst du das nicht , reproduzierst es?
    Selbst mit der eloquenz wirkt es-vermutlich nicht intendiert-verachtend. alsob dies das deutschland ist-nicht das, welches dieser man für deutschland hält.

    es wirkt ja, als wäre dieser in seiner wahrnehmung beschränkt (wie eh alle menschen, durchs menschsein) und negiere die muiltikulturalität selbst.(imbisse)
    Die beschreibung seiner familie? Zurückgeblieben.-klar, aber du stellst auch hier zwei extreme nebeneinander. schwarz und weiß.
    wo ist das grau?

    kann man sehr falsch verstehen alles. Klar, ist nicht dein job so sehr zu differenzieren, vll auch nicht wenn es eine beschreibung echter menschen ist die nunmal “so” sein können.
    klar du kannst es eh niemandem recht machen, aber diesmal habe ich mich doch-positionsmäßig-etwas in den tazkommentaren wiedergefunden.

    Es wäre wirklich schön, eine erläuterung zu diesem text zu haben. ich weiß einfach nicht was ich davon halten soll. Deshalb wäre es schön zu wissen, was du dabei gedacht hast, aussagen und bezwecken wolltest. durch diese reproduktionen. was steht dahinter?

    aber dies wirkte einfach sehr. hm. vorurteilsebestätigend.. vll einfach etwas wenig feinfühlig? ich weiß es nicht.ich kann meine einschätzungen und empfindungen nicht gut kommunizieren. aber ich mag den text nicht-nicht wegen der form sondern wegen dem was er beschreibt und weil er es einfach so stehen lässt. kein kommentar ist auch ein kommentar.

    • February 9, 2012
      reply

      Danke für deinen Kommentar!

      Es geht in diesem Text um sehr viel. Die Erklärung des Autors entzaubert die Worte, ich will es aber trotzdem für dich tun:

      Es geht um die verzerrten Vorstellungen vom Westen, das Verlieben in ein surreales Weltbild, um selektive Wahrnehmung – geprägt durch Ausschnitte, die man im Urlaub erlebt, durch Geschichten, Erzählungen und Musik.
      Nazim verherrlicht den Westen, konstruiert eine Welt und verliebt sich darin. Er lebt von diesem Bild und erklärt dies zu einem Ideal.

      Doch das, was er sich konstruiert hat, ist nicht der Westen. Wird ihm nicht gerecht und würde auch nicht der Selbstdarstellung und dem Selbstverständnis einer westlichen Person entsprechen.

      Daher der letzte Satz: Im Westen war er noch nie.

  • February 13, 2012
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    Anonymous

    kurzatmige Sätze. Jetzt weiß ich, warum TAZ dich als Kolumnistin genommen hat. Mehr Schein als Sein. Auch die Erklärungen für die Kommentatorin Noine (s.o.) sind unbefriedigend. In Deiner Erklärung kann ich Deine Intention zwar nachvollziehen, aber die Kolumne gibt diese nicht wieder. Denk mal darüber nach.

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