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BILD DIR DEINE MEINUNG ÜBER DIEKMANN

Man achte auf den Notausgang. So nett, wie auf dem Bild, waren wir nicht zueinander.

Kai Diekmann, Bild-Chef. Der Typ ist einfach mal erfahren, irre abgebrüht und kumpelhaft. So wie der Böse in der Klasse, den man halt mögen muss. Viele aus Angst, die meisten aber, weil sie nicht wirklich glauben wollen, dass er böse ist. Aalglatt ist er. Doch unter der dicken Schicht Haarschaum verbirgt sich eine krause Lockenmähne. So glatt ist er dann doch nicht.

Am Dienstag war Diekmann in die German Society der Universität Oxford eingeladen. Der Saal ist voll. Und die erste Überraschung erleben wir gleich beim Eintreten: Neuerdings trägt Diekmann einen Bart zu seiner Hornbrille – um sich, etwas spät, von Guttenberg abzusetzen? Der Chef des Boulevard-Blatts, das unter anderem für seine Schlagzeilen berüchtigt ist, haute an diesem Abend eine Schlagzeile nach der anderen raus.

Seine Rede über Zeitungsmarkt, Internet, Verantwortung und Bild, Bild, Bild beginnt er mit den Worten: “Meine Damen und Herren, ich stelle fest. Volker Kauder hat Recht. In Europa wird Deutsch gesprochen, auch in Oxford.” (Anlehnung an
diese Aussage) Es ist klar: Wir sollen heute mehr lachen und weniger denken.

Bild ist mächtig. Das weiß Diekmann, er sagt es aber nicht an diesem Abend. Sondern behauptet eher, die Bild-Zeitung zeige wie Deutschland ticke. “Nicht andersherum”, frage ich? Um das Wort “Macht” macht er also einen grossen Bogen, redet aber eigentlich den ganzen Abend nur darüber:

Dem Zeitungsmarkt gehe es schlecht, Auflagen sinkten – nur die Bild nicht! “Wir haben 45% Marktanteil an verkauften Zeitungen am Kiosk”, sagt Diekmann nicht ohne Stolz. Fast jede zweite Zeitung, die über den Tresen wandert, ist also die Bild. Und selbst Online sei Bild das meist besuchte “Nachrichtenportal”, noch vor SpiegelOnline.

Fernsehen sei fragmentiert, es gebe keine nationalen Gemeinschaftserlebnisse mehr, wie etwa vor zwanzig Jahren: “Wenn ich in der Schule meine Freunde fragte, wie sie gestern Abend Dalli Dalli fanden, dann konnte ich sichergehen, dass spätestens der Zweite die Sendung auch gesehen hatte.” Fernsehen ist kein Gemeinschaftsmedium mehr – aber die Bild schon! Nach dem Ende von “Wetten, dass” wird die Bild – so Diekmann – das letzte Medium sein, das derart bündelt und die Nation “zusammenhält.”

“Bild”, die letzte deutsche Hoffnung also. Das sei eine “grosse Verantwortung”, sagt Diekmann. Apropos:

Wie halten Sie es mit der Verantwortung, Herr Diekmann? Es folgen eine Reihe von Beispielen, bei denen Bild vorbildlich agiert habe (zum Beispiel die Nicht-Berichterstattung über Bürger, die in Scharen ihr Geld von den Banken abheben, um damit eine Panikwelle und also eine Finanzkrise zu verhinden). Egal welche Frage, welche Kritik: Die Bild hat aber auch diese und jene gute Sache gemacht, so schlimm kann sie dann ja eigentlich nicht sein.

Volksverdummung? Aber die Bild stellt doch jedes Jahr einen zeitgenössischen Künstler ganzseitig vor und lässt ihn die Seite gestalten. Und zu 9/11 gab es eine ganze vollgeschriebene Seite, die “ich bis heute nicht verstanden habe”, so Diekmann.

Rassimus und stereotypisierende Darstellung? Aber die Bild hat doch die Kooperation mit der türkisch Boulevard-Zeitung Hürriyet, zu dem 50. Jubiläum zum Anwerbeabkommen hat die Bild doch jeden Tag erfolgreiche Türken vorgestellt und ausserdem schreibt jede Woche ein türkischer Kolumnist im Blatt – als ob türkisch-stämmige Kolumnisten DIE Erfindung des Jahres wären. Als ob der jüdische Nachbar von Antisemitismus befreit.

Herr Diekmann, Ausnahmen bestätigen die Regel. Und ihre Beispiele sind nichts mehr als Ausnahmen. Übrigens, als ich auf Ihre “Türkenfreundlichkeit” erwiderte, wie es denn komme, dass Sie die Namen deutscher Täter zu türkischen änderten, wiegelten Sie ab. Das stimme nicht. Nun hab ich den Bildblog-Eintrag rausgekramt und entdecke zudem, dass die “Bild” für die diskriminierende Namenswahl vom Deutschen Presserat gerügt worden ist. Lesen Sie hier – schicke ich Ihnen aber auch gerne per Mail zu.
Vermutlich antworten Sie jetzt wieder: “Wo gearbeitet wird, werden auch Fehler gemacht.”

Anzeigenjournalismus? Unbestechlich sei die Bild in diesem Zusammenhang. Einmal habe eine Auto-Firma bei der Anzeige gebeten, auf der Seite keine Unfälle zu veröffentlichen. Diekmann: “An dem Tag habe ich alle Unfälle, die ich finden konnte, um die Anzeige herum veröffentlicht.”

Der Saal lacht. Diekmann hat es geschafft. Er ist der sympathische Böse, der Freche. Er rühmt sich als “Hauptarbeitgeber des deutschen Presserates” und findet das cool, weil er anschliessend all jene Beschwerden aufzählt, die der allgemeinen Belustigung dienen. So wie der Deutschlehrer, der sich über die “Wir sind Papst”-Schlagzeile (as Ratzinger Papst wurde) beschwerte, da dieser Satz 1. grammatikalisch falsch und 2. auch inhaltlich nicht wahrheitsgemäss sei, da ja nicht alle Deutschen Papst seien.

Ja, lustig. Aber darum geht es nicht. Trotzdem ist der Abend gespickt mit vielen cleveren Bild-Schlagzeilen, belanglosem Smalltalk-Wissen (“1955 war die Lieblingsbeschäftigung der Mehrheit der Deutschen aus dem Fenster zu schauen, heute ist sie Fernsehen”) und natürlich Belustigungen auf Kosten anderer: Zum Beispiel liest uns Diekmann die Übersetzung der Miss South Carolina-Antwort auf die Frage, warum jeder fünfte Amerikaner die USA auf der Weltkarte finden könne, vor. Im Saal lachte aber kaum jemand. Nicht weil Oxford-Studenten von Schadenfreude-Voyeurismus ausgenommen wären, sondern weil alle das Video schon gesehen hatten (bei knapp 53 Mio. Klicks kein Wunder…).

Die letzte halbe Stunde des Abends füllt Diekmann übrigens mit Lobeshymnen auf die Taz. Die “andere Boulevardzeitung”, weil sie so tolle Titelseiten haben (Als Merkel erste Bundeskanzlerin wird titelt die Bild “Miss Germany”, die taz “Es ist ein Mädchen”.). (Mehr über den Taz-Bild-Schlagabtausch
hier.) Das macht er klug und raffiniert. Indem er von der Boulevardisierung der traditionellen Blätter wie FAZ und Süddeutsche erzählt, rühmt er sich, die Bild. Bild, Süddeutsche, FAZ, Taz – alle in der gleichen Kategorie. Nur die Bild kann in dieser Reihe gewinnen als der erfolgreiche und bewusst anstossende Vordenker. Klar.

Dabei ist doch nun auch wissenschaftlich bewiesen, dass die
Bild gar keine Zeitung ist.

Schade, Herr Diekmann, dass Sie so furchtbar gut herumreden, zutexten und witzeln können. Das macht es schwer, Sie nicht zu mögen:

Bildcredit:blog.druckerey.de

Auf Facebook und Twitter sammelte ich Fragen an Diekmann. Hier einige Antworten, die nicht oben in den Text eingebaut sind.

Barabara, die Fritzl-Familienbilder hat er nicht, meint er. Dianas Unfallbilder übrigens auch nicht. Und Fabs, er verwendet kein Gel, sondern Haarschaum. Yasemin: Zu ihrer Meinung komme die Bild-Redaktion durch Diskussionen. Mehr war – trotz beharrlicher Nachfragen eines Zuhörers – nicht herauszukriegen.

Auf meine Frage, für wie dumm er die deutsche Gesellschaft halte, bekam ich übrigens auch keine abschliessende Antwort. Aber wenn Taten sprechen, braucht man ja keine Worte vergeuden.

journalist, columnist and author of this blog. a turkish-german muslim juggling politics, feminism, cyberculture and life between germany, istanbul, oxford & the world.

Comments

  • November 30, 2011
    reply

    kübra, dieser Text ist mit sehr viel Ironie deinerseits verbunden. Ich musste sehr genau lesen, um zu verstehen, wo du deine Betonungen gesetzt hast. Aber nachdem es mir einleuchtete, begriff ich, wie charmant du deine Botschaft auf den Punkt gebracht hast. Klasse Text. Vor allem Kritik mit Niveau. Weiter so :)

  • Dezember 18, 2011
    reply

    Hallo,
    nur eine Korrektur: Die Auflage der Bild sinkt seit vielen Jahren kontinuierlich und deutlich massiver als der die durchschnittliche Auflage aller Tageszeitungen.

    2000: 4,5 Millionen
    2010: 2,9 Millionen

    http://www.bildblog.de/auflage.php

    Das ist ein massiver Einbruch, den auch der Chefredakteur zu verantworten hat. Anderswo wäre Diekmann längst gegangen worden.

    Ansonsten schließe ich mich meinem Vorkommentator an :-)

  • Dezember 22, 2011
    reply

    Hach, das ist ja super zu wissen! Diekmann hat bei dem Vortrag suggeriert, sie seien die einzigen Sieger der Zeitungskrise und die Info mit dem Sinken der Auflagen natürlich gekonnt unter den Tisch fallen lassen.
    Ja ja, der Schlingel. :)
    Unglaublich. Ganz klar und deutlich lügt er ja auch leider nicht, das ist das Problem…

    Aber danke für den Kommentar! :)

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