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HAUBENRENNEN

Das sind die Herzballons mit Glückwünschen unserer Freunde auf dem Weg in den Himmel.

Und hier ein unveröffentlichter Text aus meiner Single-Zeit. Meine Güte, wie die Zeit rennt.

Es ist Samstagmorgen, die Vögel zwitschern. Die Sonne scheint durch das WG-Fenster. Ich wache glücklich auf. Gestern hat die stressige Uni-Prüfungszeit endlich ihr Ende gefunden. Yey! Um das zu Feiern versammelten wir uns mit Freunden im WG-eigenen Garten. Ich kochte ganz viel Essen mit echtem (!) Gemüse. Und wir tranken marokkanischen Tee mit frisch gepflückten Minzblättern. So entspannt, so stressfrei. Heute Morgen habe ich eigentlich allen Grund glücklich zu sein. Aber man soll den Tag bekanntlich nicht vor dem Abend loben.

Auf meinem Weg ins Bad werde ich von meinen Mitbewohnerinnen aufgehalten. „Kübra, schau! Arzus Cousine hat geheiratet“, rufen sie. Oh nein. Ich sehe es kommen. Das wird ein langer Morgen. Ich lasse mich also ins Zimmer zerren und erblicke vier junge Mädchen in Pyjama, um die Zwanzig, die vor dem Laptop hocken und Hochzeitsbilder analysieren. Serra, mit 19 die Jüngste und Kleinste in unserer Runde, gibt eine detaillierte Kritik des Brautkleides zum Besten. Das kann sie, das quirlig, selbstbewusste Mädchen ist schließlich Expertin. Ihr Verlobungskleid hat sie bereits ausgesucht, das Hochzeitskleid sowieso. Die Band auch. Karmate aus der türkischen Schwarzmeerregion soll es werden. Eigentlich ist alles vorbereitet, nur der passende Mann fehlt. (Den Front-Sänger in Karmate findet sie verdächtig toll.)

Den will Serra in fünf Jahren kennenlernen, nachdem sie idealerweise ihren Master in Harvard beendet hat und zur Promotion nach Oxford zieht. Sie hat Träume, sie ist ambitioniert. Genau wie ihre Hochzeit sind nämlich auch die nächsten zehn Jahre ihrer Karriere bis ins letzte Detail verplant. Ihr Zukünftiger soll ein junger, praktizierender Muslim, intelligent und voller Energie sein. Und wenn sie ihn trifft, dann will sie um seine Hand anhalten. Warum nicht? Khadijah, die erste Frau des Propheten Muhammed, hatte es ja auch so gemacht.

Mittlerweile haben sich meine Mitbewohnerinnen vor dem Laptop darauf geeinigt, dass das Make Up okay, die Braut selber hübsch, das Brautkleid aber ein Desaster ist. Wow, das ging schnell. Meine Mitbewohnerinnen werden immer professioneller – es gibt aber in letzter Zeit unheimlich viele Hochzeiten zu analysieren. Gefühlte hundert Freundinnen haben sich verliebt, verlobt und geheiratet.

Erst vor einigen Tagen ging das Gekreische an der Uni los, als eine äthiopische Freundin ihren Verlobungsring hochhielt – ihr Freund hatte ihr einen romantischen Antrag in einem Schloss in der Nähe von London gemacht. Und meine beste Uni-Freundin gestand mir, dass sie endlich Mr. Right gefunden habe – auf einer muslimischen Partnervermittlungsseite. Ach ja, einer anderen Freundin hatten die Eltern letzten Sommer „zufällig“ jemanden vorgestellt. Seit zwei Monaten sind die beiden nun glücklich verheiratet und ziehen durch die Welt. Meine Güte. Alle rennen unter die Haube. Ist denn da so viel Platz?

Ich bin irritiert. Manche sagen mir, dass es doch noch viel zu früh ist, um über das Heiraten überhaupt nachzudenken – „Du bist doch erst 21!“ – und andere geben mir zu verstehen, dass ich mich beeilen sollte. „Als ich so alt war wie du, dachte ich auch, dass ich noch ewig Zeit hätte. Aber glaub mir, kaum dass du dich versiehst bist du 30. Und dann gefällt dir kein Mann mehr.“ Ach, das stresst mich alles so. Ich will doch nur meinen ersten Prüfungs-freien Tag genießen. Ist das zuviel verlangt? Und wenn ich jemanden kennenlerne, dann lerne ich halt jemanden kennen. Basta. Wie das alles genau ablaufen soll, weiß ich auch nicht. Aber das weiß man eh nie vorher.

Ich stehe auf und gehe ins Bad. Einige Minuten später bin ich aber wieder draußen im Flur. Grinsend und mit der Zahnbürste im Mund beobachte ich meine geliebten Mitbewohnerinnen: Sie tanzen in Pyjama und mit zerzausten Haaren an einem Samstagmorgen einen türkischen Volkstanz zu türkischer Volksmusik, die das Haus beben lässt. Ich glaube, da baut jemand Stress ab.

journalist, columnist and author of this blog. a turkish-german muslim juggling politics, feminism, cyberculture and life between germany, istanbul, oxford & the world.

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