EIN UNFALL & EINE FRAGE: WIE STEHT ES UM DIE HILFSBEREITSCHAFT?
Ich hatte gestern einen kleinen Unfall. Beim Fahrradfahren um einen kleinen See in Oldenburg (in Niedersachsen) bin ich in der Kurve ausgerutscht und ziemlich hart aufgeprallt. Das Lenkrad rammte tief meinen Bauch, ich erlitt einen Schock und Atemnot. Mein Kopf drehte sich, ich schnappte vergeblich nach Luft, der Schmerz schoss mir nach ein paar Sekunden plötzlich durch den ganzen Körper und ich krümmte mich nach Luft ringend auf dem Boden. “Ich kann nicht atmen! Ich kann nicht atmen!”, schrie ich. Es war als wäre mein Hals zugeschnürt worden, als hätte sich mein Körper, mein Brustkorb verengt. Meine Schwiegermutter, die wenige Meter hinter mir gefahren war, sprang vom Fahrrad ab und drückte mich fest an sich, redete beruhigend auf mich ein und versuchte langsam mit mir zu atmen. Minutenlang schrie ich dabei in Schock.
Aber darum geht es nicht in diesem Beitrag. Es geht um das (vielleicht 50-60-Jahre alte) Ehepaar, das im See badete – 10 bis 15 Meter von mir entfernt -, das mich seelenruhig dabei beobachtete wie ich mit dem Fahrrad auf dem Schotter ausrutschte, hinprallte und schrie. Während sie zu ihren Fahrrädern gingen und sich abtrockneten, reckten sie ihre Köpfe, um das Geschehen auch über das hohe Gras hinweg weiterzuverfolgen. Immer wieder schauten sie neugierig zu mir und meiner Schwiegermutter, seelenruhig, unbeteiligt.
Meine Schwiegermutter nässte ihre Kleidung im See, um meine blutigen und brennenden Hände zu waschen und um meinen Nacken zu kühlen. Das Ehepaar starrte uns weiterhin an.
Kein Wort. Kein Hilfsangebot. Keine Fürsorge. Kein besorgter Blick. Nichts. Nur dieses spannerhafte Starren, fast aufgeilend am Leid der anderen.
Während mir Brust und Bauch schmerzten und ich noch immer krampfhaft nach Luft schnappte, ärgerte ich mich furchtbar über sie. Denn ich hatte hilfesuchend zu ihnen geblickt. Mehrmals. Unsere Blicke hatten sich getroffen. Wir hatten ganz offensichtlich keine Taschen dabei (lediglich eine kleine Handtasche, die meiner Schwiegermutter über der Schulter hing), also auch kein Wasser und Verband sowieso nicht. Ich hatte – es fällt mir schwer, das einzugestehen – Hilfe erwartet. Ich hatte Hilfsbereitschaft erwartet. Aber es kam nichts.
Seelenruhig unterhielt sich das Paar, starrte immer wieder Köpfe reckend in unsere Richtung und nach 15 Minuten radelten sie dann davon.
Am liebsten wäre ich hinterhergeradelt und sie gefragt, ob sie noch nie etwas von Hilfsbereitschaft oder Zivilcourage gehört hätten?
Meine Schwiegermutter meinte aber “Lass sie. So ist das hier.” Mit “hier” meinte sie Oldenburg. Es sei hier nicht mehr wie früher, sagte sie, die Menschen würden einander weniger helfen.
In Hamburg, Berlin oder in anderen Städten in Deutschland, in denen ich mich bisher länger aufgehalten hatte, wäre das sicher nicht so gelaufen, erwiderte ich. Was hier denn los sei?, fragte ich.
Ich glaube nicht, dass das Ehepaar so reagiert hat, weil ich ein Kopftuch trage. Dass Fremden-/Islamfeindlichkeit bei durchschnittlichen Bürgern so weit geht, kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Außerdem schließe ich es aus, weil meine Schweigermutter (, die Bio-Deutsche ist,) über das Verhalten nicht verwundert war. Sie hatte es von diesem Ehepaar nicht anders erwartet, muss es also auch von anderen Fällen kennen.
Am Abend hatte ich das alles schon wieder vergessen, als die Freundin meiner Schwiegermutter uns besuchte. Als wir vom Tag erzählten, erinnerte ich mich wieder an das Ehepaar und erregte mich wieder über deren Verhalten. Zu meiner Überraschung war auch sie (ebenfalls Bio-Deutsche) über das Verhalten keineswegs verwundert. “So ist das hier seit ein paar Jahren”, sagte sie und erklärte die Haltung so: “Die denken sich: ‘Sollen die mal zusehen, wie sie alleine klarkommen.'”
(Ich erwähne deshalb bei beiden, dass sie Bio-Deutsche sind, weil es mir zeigt, dass das Verhalten des Ehepaares nicht (oder nur geringfügig) mit meinen Kopftuch oder meinem türkischen Aussehen zu tun haben muss.)
“Warum und seit wann ist das so?”, fragte ich. Noch immer ungläubig, dass dies tatsächlich eine verbreitete Haltung sein könnte. Ganz einig waren sich die beiden nicht. “Vielleicht hat das mit den Computern und dem Internet zu tun”, vermutete die Freundin. Aber sicher war sie sich nicht. Beide glaubten sich aber zu erinnern, dass es früher anders gewesen sei.
Ich habe leider keine Vergleichswerte in ähnlich großen Städten. In Hamburg, Berlin, München & Co, allesamt größere Metropolregionen, ist mir oft Hilfsbereitschaft begegnet. Meistens erlebte ich Hilfsbereitschaft beim ständigen Hin- und Herreisen mit schwerem Gepäck, wenn mir Frauen wie Männer beim Hochhieven im Zug oder beim Hochtragen an Bahnhofstreppen halfen. Sonst war ich selten in einer Situation, in der ich die Hilfe fremder Mitmenschen brauchte. Habt ihr da andere Erfahrungswerte?
Ich frage mich, ob das, was ich erlebt habe, nur in Oldenburg oder auch woanders in Deutschland die Regel ist – oder (das hoffe und glaube ich) dieser Fall auch im schönen Oldenburg eine reine Ausnahme ist.
Mich beschäftigt ernsthaft die Frage, wie es um die Zivilcourage und die Hilfsbereitschaft in Teilen des Landes steht. Gibt es da ein Problem? Und wenn ja, woher rührt dieses Problem? War es früher wirklich anders? Was ist passiert? Hat es mit der Größe einer Stadt zu tun? Eventuell, dachte ich mir, ist in Kleinstädten, wo jeder jeden kennt, und in Großstädten, wo zwar Anonymität herrscht, aber gleichzeitig auch eine anonyme Nähe besteht, mehr Hilfsbereitschaft vorhanden, als in den Städten dazwischen. Dort, wo Menschen vielleicht hin- und hergerissen sind zwischen den beiden Mentalitäten: Das ist mein Nachbar, der gehört zu mir, dem helfe ich; und: Wir sind eine Großstadt, ich kann unverbindlich und folgenlos helfen, denn ich werde den Menschen vermutlich nie wieder treffen. Das Helfen ist kein Eindringen in die Privatsphäre des jeweils anderen, weil wir es ohnehin gewohnt sind, mehr Privates zu teilen als woanders (Das laute Telefonieren, öffentliche Weinen, Streiten, der Pyjama-Gang in den Supermarkt etc.) Oder ist es das Alter? Das Norddeutsche? Und letztlich natürlich die Frage: Wie kann man das Problem beheben bzw. ihm entgegenwirken?
Doch sollte das Erlebte tatsächlich kein Beispiel für ein generelles Problem darstellen, bin ich munter, glücklich und weniger besorgt; und hoffe, dass sich dieses Ehepaar ein Beispiel an dem Rest seiner Mitbürger nimmt.
Also: Was sind eure Erfahrungen mit Hilfsbereitschaft? Und wie ordnet ihr eure Erfahrungen ein?
NOTIZ: Auf Facebook gibt es einige sehr interessante Kommentare dazu.
Merve
Ich denke es hat damit zu tun das leute einfach nur hinweg schauen und die Wirklichkeit nicht seheb wollen. Was zum beispiel in kriegs Ländern abläuft sondern sich mit anderen Sachen ablenken
Nils
Ich hab mal ein paar Jahre ehrenamtlich Sanitätsdienst auf Straßenfesten und ähnlichen Veranstaltungen gemacht und ähnliche Situationen waren immer mal wieder Thema.
So blöd das klingt, häufig ist es nicht fehlende Hilfsbereitschaft sondern schlicht und ergreifend Angst beim Helfen irgend etwas falsch zu machen. Objektiv betrachtet gibt es natürlich kaum etwas, was man falsch machen kann. Händchen halten und Hilfe holen reicht in der Regel vollkommen aus.
Ich will das Verhalten der beiden damit nicht verteidigen, sondern nur einen Denkanstoß geben, das es eventuell keine Boshaftigkeit ist.
Hoffe Du hast den Crash gut überstanden.
kübra gümüşay
Lieber Nils,
Danke für deinen Kommentar. Ja, ich glaube, du hast recht mit der Analyse der Angst vor dem “falschen” Helfen, auch auf Fb wurde das eben kritisiert. Eventuell ist genau das aber auch der Ansatz für die Problembekämpfung? Dass man selten “falsch” helfen kann?
Eventuell war das Ehepaar damit überfordert, das kann durchaus sein. Andererseits hatte ich ihnen mehrmals signalisiert, dass wir Hilfe brauchen. Und weit und breit war niemand anderes außer uns da. Da ging es vielleicht auch um die fehlende Verantwortung (Bystander Effekt) evtl.
Danke aber sehr für deinen bereichernden Kommentar!
Und ja, ich hab mich – dank Schwiegermutter – gut erholt! :)
Liebe Grüße!
Sarah
Ich komme ja ursprünglich aus einer ähnlichen Kleinstadt, die auch in Norden liegt. Da ich nun ein Kind der Mutterstadt bin kann ich schlecht etwas über die heutige Situation sagen, sehr wohl aber über die Situation bis 2008. Damals waren die Menschen in besagter Kleinstadt sehr hilfsbereit. Sei es beim Koffer hieven oder anderem. Hatte ich sonntags mal keine Eier mehr zum Kuchen backen, konnte ich einfach bei den Nachbarn klingeln. Fehlten an der Kasse mal ein paar cent, so fand sich sicherlich jemand, der sie einem gab.
In der Kleinstadt sieht man sich immer zweimal oder kennt sich um ein paar Ecken; da lohnt es sich, ein paar Minuten für Freundlichkeit zu entbehren.
Ich muss sagen, dass ich dieses freundschaftlich-freundlich-solidarische Verhalten in Berlin doch vermisst habe. Manchmal hatte ich das Gefühl, würde ich auf der Straße zusammenbrechen, man würde mich noch anbrüllen warum ich denn im weg rumläge und dann einfach über mich und auf mich trampeln um ja noch die Bahn zu erwischen.
Mittlerweile bin auch ich weniger hilfsbereit; auch weil ich weiß, dass die Menschen hier es nicht gewohnt sind. Wenn ich an alten Omis mit schweren Tüten vorbeilaufe würde ich zwar gern helfen; wenn ich aber schon sehe, wie Omi mich kritisch aus den Augenwinkeln begutachtet, möchte ich auch nicht bei dem Versuch der Hilfsbereitschaft ihre Handtasche an den Kopf geknallt bekommen.
Was es da mit den Oldenburgern auf sich hat ist mir ein Rätsel. Vielleicht können deine Schwiegermama und ihre Freundin erste Schritte gehen um den Oldenburgern die Hilfsbereitschaft wieder näher zu bringen.
Ich hoffe du hast dich gut erholt. Grüße aus London!
Annika
Ich hasse diese Bystander. Ich wurde vor Kurzem auf offener Straße sexuell belästigt, Gott sei Dank nichts “Ernstes”, aber trotzdem sehr unangenehm und obwohl ich mehrmals laut sagte dass es sexuelle Belästigung ist, hat sich keiner der vorbei gehenden Leute eingemischt. Und ich bin auch Bio-Deutsche, wie du sagen würdest ;)
Paula
Zunächst bin ich froh & erleichtert, dass es Dir soweit wieder gut geht.
Ich frage mich auch, immer und immer wieder – und zwar eigentlich nur in D, egal ob in Groß- oder Kleinstädten, ob in kultigen Kiezes oder in öden Beton-Innenstädten – wie das gehen kann, diese voyeuristische, dabei so offensive Gleichgültigkeit. Mir ist das unbegreiflich.
Viele nennen, wie einige hier, das Argument ‘Angst, etwas falsch zu machen’. Das kann schon sein. Aber: woher und wieso diese Angst? Wieso ist die Angst vor der eigenen Blamage oder davor, einen eventuellen Fehler zu machen dann doch so oft größer als der Impuls zu helfen, *etwas* zu tun?? Und sei es “nur”, dem/der Hilfesuchenden zu signalisieren: ‘ich sehe Dein Problem und will etwas tun’. Denn genau das ist in meinen Augen das Unmenschlichste überhaupt – dieses offensiv zur Schau gestellte ‘das geht mich nichts an’. Das ist barbarisch.
Das ist eine angebliche Angst, die ich auch vielfach in D kennen gelernt habe, wenn sich Menschen nicht trauen, mit Leuten zu sprechen, die kein Deutsch reden. Damit habe ich viel Erfahrung und auch da schweigen und verdrücken sich viele deutsche/in D sozialisierte Leute lieber als einfach zu sagen: ‘Hey, main Tschöhrmän ist not gut. Aber: hello, how are you?”.
Ganz ehrlich, das kenne ich aus keinem anderen Land.
Meine Erklärung für dieses Verhalten ist eher so: In D wird so Vieles, und immer mehr, über formalisierte Vorgaben – Verordnungen, Gesetze, Richtlinien usw. – geregelt, da verlässt sich niemand mehr so richtig auf die Kommunikation untereinander. Das lässt sich am Straßenverkehr gut beobachten: Lieber mit Helm und Polizei aufrüsten, als sich an der Kreuzung mal in die Augen schauen und sich verständigen. “Da läuft ein Kind über die Straße? Ja und? Ich hab grün, also fahre ich. Soll doch das Kind aufpassen. Bzw. die Eltern. Genau! Die haben doch die Pflicht, das Kind von der Straße fern zu halten. Ich? Ich mache alles regelgemäß. Also schaue ich das Kind, das ich nur gnädigerweise nicht überfahren habe, mal böse an und mache Vorhaltungen, dass es sich nicht an die Ordnung gehalten hat.”
Mich erschreckt die Kälte, mit der in D Menschen demonstrativ NICHT miteinander kommunizieren.
hg
Paula
monodromie
“Dass Fremden-/Islamfeindlichkeit bei durchschnittlichen Bürgern so weit geht, kann ich mir wirklich nicht vorstellen.”
Moeglicherweise ist das keine notwendige Bedingung fuer emotionales detachment und Gleichgueltigkeit und das schnelle Versichern diverser ‘ortskundiger’ Biodeutscher scheint das zu bestaetigen, allein scheint mir eher das Gegenteil der Fall zu sein: ein Kopftuch in Oldenburg kann eine hinreichende Bedingung dafuer sein, dass man, gerade in Notsituationen, als das ‘absolut andere’ angesehen wird. Andererseits beleuchtet all das auch dieses generelle Klima von Furcht und Misstrauen in Deutschland, diese Angst vor jeder Art von ‘anderem’. Der einzige Mensch, der mir nebenbei gesagt in Berlin jemals geholfen hat, war nicht-weiss, nicht-deutsch, er war Libanese. Er hatte mich nach einer Kollision auf dem Fahrrad in Neukoelln bis zum naechsten Aertzehaus begleitet, ich werde das nie vergessen.
Betül
Allahim acil sifalar versin.. Rabbim yardimcin olsun..
Wir haben es echt schwer. Ich bin eine Person die sehr gerne hilft. Aber wenn ein Mensch vor Angst und Panik nicht Atmen kann und Hilfe braucht ist das echt unmenschlich nicht zu helfen.
Meine Erfahrung ist auch nicht anders. Anstatt zu helfen kommen auch manchmal blöde Kommentare.
Was ich mir letztens in meiner Prüfung von dem Professor anhören musste ist :”Können Sie überhaupt deutsch !”. Und das im 4.Semester meines Studiums. :)
:)
assalamu alaikum
ich persönlich habe diesbezüglich (gottseidank) keinerlei erfahrungen. aber mein mann (kein bio deutscher ;-)) hatte vor kurzem auch einen recht heftigen fahrradunfall. er fuhr ziemlich schnell auf der straße und dann noch leicht bergab. beim schalten verhakte sich die kette und er überschlug sich einige male. gottseidank hatte er einen helm und es ist nichts ernsthaftes passiert, aber er sah ziemlich ramponiert aus. in der nähe war nur ein mann, und dieser kam angerannt, und rief den krankenwagen und kümmerte sich so lange um ihn, bis der krankenwagen kam.
damit man nicht noch mehr sorgen hat als ohnehin schon, gehen wir mal ganz optimistisch davon aus, dass die reaktion dieses mannes der regelfall und dein spanner-ehepaar die ausnahme ist.
wassalam
Unsichtbar
ich bin in oldenburg aufgewachsen und würde total gerne sagen, dass das nix mit der satdt zu tun hat, bin mir da aber nicht sicher. ich hab in oldenburg ne menge stürze mit meinem fahrrad hingelegt und meistens jemanden gefunden der hilft (andere fahrradfahrer_innen). was ich aber auch beobachtet habe, ist eine gewisse ignoranz von älteren (so richtung rentenalter) menschen (vorallem bio-deutsche), die haben für sich selbst jede menge hilfe und rücksicht eingefordert aber nie nach links und rechts geschaut. sie scheinen das irgendwie nicht nötig zu haben. ich hab immer das gefühl, dass hat auch was mit erziehung zu tun. bei manchen ist hilfsbereitschaft praktizierter inhalt des wertekanons, bei anderen nicht… lange habe ich gedacht, dass das immer schlimmer wird, aber die jugendlichen um mich rum überzeugen mich jeden tag davon, dass dies nicht so ist. die sind nähmlich sehr hilfbereit und aufmerksam im gegensatz zu vielen erwachsenen. gerade die, von denen mensch es auf den ersten blick nicht erwarten würde. hoffen wir dass das so bleibt, und dass dir nicht nochmal sowas wiederfährt!
Unsichtbar
auch eine frage der erziehung und trotzdem vergessen: ich wünsche dir natürlich auch gute besserung! und dass du ab jetzt nur noch die netten menschen in oldenburg triffst.
Michael
Würde es ja gerne als klassischen Fall des bystander effects abtun, aber ich denke das führt letztlich zu kurz. Vermutlich bin ich leider evolutionsbiologisch und sozialpsychologisch nicht geschult genug, um einzuschätzen, warum potenziell empathiefähige Mitmenschen solch ein Verhalten an den Tag legen.
Normalerweise sinkt die Hilfsbereitschaft tendenziell bei größeren Städten, sowie bei einer höheren Bevölkerungsdichte. Warum ausgerechnet in Oldenburg prosoziale Normen weniger präsent sind als anderswo kann ich als Nicht-Oldenburger nicht beurteilen, aber ich würde, so bitter es auch klingen mag, als Teilaspekt das Kopftuch nicht völlig ausschliessen. Zumindest tragen meiner Meinung nach undifferenzierte Populismus-gelenkte Denkanstöße von Leuten wie H.P. Friedrich und T. Sarrazin dazu bei, dass Muslime in Deutschland teils als unintegrierte
Bedrohung wahrgenommen werden.
Eine einfache Universallösung für mehr Altruismus, bzw. zumindest gegen Apathie wird es vermutlich nicht geben, aber ich persönlich hoffe, dass die Menschheit ausreichend kognitive Fähigkeiten besitzt, die verhindern, dass Fälle wie Yue Yue irgendwann zur Regel werden könnten.
Gerhard
Meine Frau (keine “Biodeutsche”) hatte mal einen heftigen Fahrradunfall in Heidelberg, da haben mehrere Leute gleich geholfen. Einer brachte sie auch bis ins Krankenhaus. Für sie ist das heute eine positive Erinnerung (die Hilfsbereitschaft natürlich, nicht der Unfall, der auch eine OP nach sich zog).
Christian
Erstmal gute Besserung.
Dieser Bericht erschreckt mich. Ich hoffe, dass dieses von Ihnen beschriebene Paar eine seltene Ausnahme ist.
Zumindest habe ich bisher immer hilfsbereite Menschen getroffen, wenn ich Hilfe brauchte, und gebe mir meinerseits Mühe, anderen Menschen zu helfen — und da mir so spontan niemand aus meinem Bekanntenkreis einfällt, der sich in einer derartigen Situation so distanziert verhalten hätte, wie das badende Paar, gebe ich die Hoffnung auf die Menschheit auch noch nicht auf.
Aber mal ehrlich: das geht ja wohl *gar* nicht. Man muss ja nicht gleich mit Verbandskasten und Defibrillator angerannt kommen, aber ein kurzes “Kann ich irgendwie helfen?” sollte doch drin sein.
acar
S.a. Kübra, ich sitze gerade auf der Couch und lese deine Erfahrung, die du leider in meinem Geburtsort machen musstest. Plötzlich kommt mir eine traurige Erinnerung wieder hoch. Es war um Weihnachten und Oldenburger City proppenvoll. Kam gerade von der Schule, kaputt und müde. Wollte gerade die drei Stufen betreten, um in den Bus zu gelangen. Plötzlich fühlte ich eine Hand, die ganz und garnicht mir gehörte. Ich drehte mich um und schon lief der Dieb, der mein Portmonnaie in den Händen hielt, weg. Ohne zu überlegen, sprang ich aus dem Bus, rannte und schrie gleichzeitig, dass er gefälligst “meine Sachen” mir geben soll. Es war zwar kein Geld drin, aber meine wertvollen Fotos. Sofort schmiss der Dieb das Portmonnaie vor meine Füsse. Und jetzt das traurige an der Geschichte. Ich war erst 14. Ein 14 jähriges Mädchen! Nicht eine Menschenseele kam und fragte. Als ob nix passiert wäre, gingen sie an mir vorbei, aßen weiter oder warteten einfach auf den nächsten Bus. Das ganze geschah vor 18 Jahren und wie ich sehe, ist “alles beim Alten” geblieben:-(( Grüsse an deine Schwiegermutter von Meral, Tochter von Fatma und Abdullah Tekeli. Gute Besserung an dich
peter wolf
hallo!
zunächst mal gute Besserung!
2tens bin i 60 — und hab derartige Hife no it braucht.
i bins der hilft. ( und ich hab gelernt,das nicht jeder ist wie i )
ich kann mir hier im süden aufm land solches verhalten auch schwer vorstellen .. “selbst” nicht bio-deutschen gegenüber.
ich bin entsetzt und ich kanns nicht verstehen— was ich sehe ist :” moderne westliche zivilgesellschaft ”
was der nils schreibt,ist schon ok — aaaaber:
i bin vor 44 jahren hierher ins württembergische allgäu gekommen und geblieben weil mich diese vermasste,unpersönliche ellenbogenmentalität im norddeutschen angewidert hat. (Vorurteil?-sicher)
PS : ich freu mich immer,wenn ich was von dir lese.
und gruß pw.
Pingback: Punkrock Fairytales, NSA spielen & Revolution Girl Style Now! « Reality Rags
Queen Rat
Ich muß sagen, ich hab/hätte auch Angst zu helfen in manchen Situationen. Stichwort Erste Hilfe – da hatt ich nur den Pflichtkurs wegen Führerschein und der war ein schlechter Witz. Stabile Seitenlage und Beatmung würd ich hinkriegen glaub ich, aber das wars…
Aber trotzdem – man kann doch (gerade bei so vorfällen wie der von Kübra) kann man doch eigentlich wenigstens hingehen und FRAGEN. Ob alles in Ordnung ist, und ob man helfen kann und wie.
Ich meine, es gibt ja auch “Formen von Hilfe”, bei denen man nichts falsch machen kann. Hingehen und beruhigen zum Beispiel. Und wie gesagt – hingehen und FRAGEN, ob man was tun kann, das kann jede_r. Und sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Warum das für manche Leute nicht selbstverständlich ist, versteh ich nicht. Ehrlich, ich kapier’s nicht, wie man sich so verhalten kann.
Am Rande – meine Mutter ist vom Dorf in ein Städtchen umgezogen, in ihrer Nachbarschaft ist eine große türkische Community. Der Umzug war ein mords Aufwand – beim Ausziehen aus dem Dorf sind die Nachbarn nur zum Glotzen gekommen – während beim Einzug die türkischen Nachbar_innen super und freundlich unaufgefordert geholfen haben – tragen helfen, eine Sackkare ausleihen, Nachfragen, ob man helfen kann (hah!),… das war selbstverstndlich. Das war einfach schon irgendwie richtiger “Community-Geist”, diese Selbstverständlichkeit, daß man sich unter Nachbarn hilft. Das hat mich schon beeindruckt.
Miria
Erstmal auch von mir gute Besserung!
Ich habe bisher glücklicherweise immer die Erfahrung gemacht, das mir meist schneller als erwartet von vielen Menschen geholfen wurde. Als ich mal die Kontrolle über mein Auto verloren habe und im Graben landete, hatten bereits drei Autos angehalten, um mir zu helfen bevor ich überhaupt registriert hatte, was passiert war. Ich lebe in einer eher ländlichen Gegend, bin mir aber nicht sicher, ob das wirklich ausschlaggebend ist.
Auch ich selbst helfe bzw. versuche zu helfen, wobei ich leider auch schon die Erfahrung machen musste, dass ein Hilfsangebot nicht immer gut ankommt. Es gibt Menschen, die sich anscheinend bedroht fühlen, wenn man ihnen anbietet, ihre Koffer die Treppen über zu tragen…
Auch habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht wie bereits erwähnt, ältere Menschen sind meist weniger freundlich und hilfsbereit als jüngere. Kann man natürlich so nicht verallgemeinern, aber war bisher meine Erfahrung.
Liebe Grüße,
Miria
Nead
Selam Alejkum Kübra,
kannst du mir bitte erläutern was du mit Bio-Deutsche meinst?
Ich lebe zwar in Bremen arbeite aber seit ca. 3 Jahren in und um Oldenburg. Negative Erfahrungen mit der Hilfsbereitschaft habe ich noch keine gemacht, weil ich noch keine benötigt habe. Mir ist aber aufgefallen, dass hier in der ländlichen Gegend viele meiner deutschen Arbeitskollegen wohl das erste Mal mit mir als Muslim in Kontakt getreten sind. Daher würde ich deine Erfahrung wohl eher dem zuschreiben, dass die beiden einfach nicht wussten, wie sie mit einer “Frau mit Kopftuch” umgehen sollen. Ich will die Reaktion des Ehepaares nicht gutreden, aber wie sollten sie dir auch helfen, wenn sie halbnackt aus dem Wasser kommen?
Ich wünsche dir alles Gute
Nead
Thomas Holm
“Einer Frau ging es gegen 19.50 Uhr plötzlich schlecht. Dass Sanitäter ihr im Bad am Columbiadamm zu Hilfe kamen, ist eigentlich völlig normal und selbstverständlich. Diese Dame jedoch hatte Verwandtschaft mit Migrationshintergrund. … Erst wurde laut und mies geschimpft, dann gingen zwei der Tobenden auch noch mit Fäusten auf die wehrlosen und völlig überraschten Sanitäter los. Der Rest der Familienbande unterstützte den Angriff mit wüsten Beschimpfungen.”
http://www.berliner-kurier.de/polizei-justiz/pruegelei-um-eine-frau-treffen-im-freibad-neukoelln-zwei-hitzkoepfe-aufeinander—-,7169126,23843748.html
reepee
Leider ist das nicht nur in Oldenburg so. Ich bin Berlinerin und kann dir sagen, dass es hier nicht anders ist.
Die Menschen sind besonders sensationsgeil, betrachten Notfallsituationen wie eine Form von ‘Live-Entertainment’.
Helfen kommt den meisten nicht einmal in den Sinn. Es liegt schlicht daran, dass man bloß nicht in solch ein Geschehen verwickelt werden möchte; sonst könnte einem Selbst noch etwas zustoßen. Ich stimme auch nicht mit Nils überein, dass dies mit der Angst des ‘Falschmachens’ zusammenhängt. Letzteres ist nur eine schön formulierter Vorwand nicht zu helfen.
Es ist einfach der ausgeprägte Egoismus und das Desinteresse für unsere Mitmenschen in dieser Gesellschaft.
Nach dem Motto: Solange es MIR gutgeht, ist mir alles andere egal.
Ps.: Ich bin einmal mitten auf dem Bahnsteig eines U-Bahnhofs ohnmächtig geworden und. Der Student der mir seine Hilfe anbot, erzählte mir das er außer sich war, wie viele Menschen den Vorfall beobachteten und regelrecht an meinem bewusstlosen Körper vorbeiliefen.
Ursula Sezgin
Hilfsbereitschaft. Hm. Ein kleiner Junge stürzt auf einer abschüssigen Straße, die ich gerade aufwärts gehe, mit dem Fahrrad ziemlich heftig. Ich gehe zu ihm, helfe ihm auf, tröste ihn. Kommt ein Mann angerannt, sein Vater, beschimpft mich ganz übel, erst würde ich seinen Sohn zu Fall bringen, dann mache ich auf Hilfsbereitschaft…
Auf einem S-Bahnhof gehen etliche große, gut genährte junge Männer in Schwarz auf einen kleinen dünnen Mann mit Stock zu und drängen ihn zur Bahnssteigkante . Ich, im Oma-Alter, raffe allen Mut zusammen, gehe grinsend auf die Kerle zu und finde anscheinend den rechten Ton, sie verkrümeln sich. Da geht der kleine Mann mit Stock auf mich zu, beschimpft mich als Nazi und will nach mir schlagen. Etliche andere Männer, die wohl zugesehen haben, schieben sich zwischen den kleinen Mann und mich und drängen ihn dann in die nächste S-Bahn. Diese Männer haben mir, das denke ich heute noch mit Dankbarkeit, geholfen.
In einem Bahnhof bekomme ich mit, wie ein Arabisch sprechendes Paar für die Frau keine Fahrkarte kaufen kann, weil sie keine passenden Münzen haben. Ich biete meine Hilfe an, kaufe die Fahrkarte, lasse mir das Geld nicht geben. Die Frau lächelt und der Mann??Beginnt mich als Deutsche auf das Übelste auf Deutsch zu beschimpfen.
Das ist meine Erfahrung, Kübra Hanim, mit meiner Hilfsbereitschaft.
Mellifluous
Der Beitrag ist eine ganze Weile her, heute ist es mir aber auch passiert. Wobei passiert nicht das richtige Wort ist, ich war nur Nebendarsteller sozusagen. Ich komme aus einem kleinen Dorf (keine 1000 Einwohner) wo wirklich jeder jeden kennt und von dort kenne ich auch noch die eigentlich ‘normale’ angebrachte Hilfsbereitschaft. Ich selbst bin erst 16, nur um das mal kurz anzumerken.
Wie auch immer. Wegen ein paar Erledigungen bin ich heute in der Stadt gewesen (mit 82.000 Einwohnern immer noch klein) und als ich am Bahnhof war um zurück zu fahren bin ich ehrlich gesagt richtig sauer geworden. Da war eine ältere Dame(schätzungsweise um die 65) mit Rollator und der Fahrstuhl ist ausgefallen. Die gute Dame musste aber nun einmal leider die Treppen hoch und hat einen jungen Mann angesprochen. Wenn ich überlege wie langsam und gemütlich der gelaufen ist, hatte er es nicht wirklich eilig. Sie fragt ihn also ob er ihr kurz helfen kann und dieser Mann sieht sie an, stellt Blickkontakt her und geht einfach weiter. Drei weitere sind einfach vorbeigelaufen! Das muss man sich mal vorstellen… Eine ältere Dame braucht Hilfe ihren Rollator die Treppen hoch zu bekommen und keiner ‘erbarmt’ sich und hilft schnell. Ein Mann wollte wohl helfen, war aber selbst auf Krücken unterwegs und hatte damit logischerweise nicht die Möglichkeit. Ich hab ihr dann zwar geholfen, bitter ist das ganze trotzdem.
Ehrlich gesagt war das auch nur ein kleiner Test. Ich hätte nur nicht gedacht das er so ausgeht. Ich hab die Dame gesehen, musste aber eigentlich in eine andere Richtung, wusste aber auch das ich noch ne halbe Stunde hab bis mein Zug kommt. Bin deswegen mal mit ca 3 Metern Abstand hinter ihr her gelaufen um zu sehen wie die Leute wohl reagieren. (Macht man wahrscheinlich nicht und ist unhöflich aber gut) Als ich das oben beschriebene gesehen hab… Ganz ehrlich? Einen Moment wollte ich einfach nur losheulen und die Leute anschreien.