WENN DIE KAMERAS AUS SIND…
RASSISTIN? ICH?
DIE DIGITALE TÜRKISCHE FAMILIE – WHAT’S UP?
Lampenreflektion auf dem iPhone |
Mit meinen beiden kleinen Fingern versuche ich hastig, mein Handy zu bedienen. Der Rest meiner Hand ist schmutzig und fettig. Ich stehe in der Küche und verzweifle gerade mal wieder an einem türkischen Teiggericht. Über Skype rufe ich meine Oma in Deutschland an. „Oma, ich kriege die Börek nicht hin!“ Eigentlich kann ich ja backen, aber die Hefe! Die Hefe will nicht, wie ich will. In England gibt es eben nicht so tolle Feuchthefe wie in Deutschland, rede ich mir ein. Und frage verzweifelt: „Ich kann das doch, ne, Oma?“
WUT VERLASSEN
Irgendwann habe ich beschlossen, nicht mehr wütend zu sein. Nicht mehr wütend über die bis in den Himmel stinkenden Ungerechtigkeiten von Menschen und auf ihre Macht. Denn die Wut ändert nichts an der Ungerechtigkeit, aber mich. Sie macht den Wütenden kaputt, verbittert. So will ich nicht werden. Und dann ist es passiert: Die Wut war weg. Ich kann nicht mehr genau sagen, wann das geschehen ist. Die Wut ist langsam und vorsichtig gegangen und hat eine
MANCHE GEFÜHLE LEBEN NUR IN BESTIMMTEN SPRACHEN
Plötzlich weinte ich. Es war der Festtagsmorgen, an Bayram. Wir saßen in Oxford am Frühstückstisch, als im Radio eine Sendung über das Bayramfest in Deutschland lief. Der Moderator erzählte von Vätern, die sich auf den Weg in die Moschee machen, von der Aufregung, die zuhause herrscht, die letzten Vorbereitungen für das große Frühstück und die Kinder, die erwartungsvoll um die Geschenktüten herum tanzen. Die vertrauten Geräusche aus dem Radio erfüllten unsere Küche – und ich sah
AB IN DIE WUTBOX
Ganz ehrlich? Ihr könnt mir mal den Buckel runterrutschen, ihr hasserfüllten Paukenhauer, globalen Klassenclowns und mediengeilen Störenfriede. Ihr lauten Menschen. Kauft euch ’ne schalldichte Wutbox und tobt euch dort aus, haut euch gegenseitig die Köppe ein. Aber das würdet ihr niemals alleine machen. Ihr funktioniert nämlich nicht ohne uns, die Moderaten dieser Welt. Ihr braucht uns. Was wäre eine Demonstration muslimischer Extremisten ohne Publikum? Was wären die islamischen Hassprediger auf der einen Seite und Ayaan Hirsi
40 KILO FREMDSCHÄMEN
Kennen Sie diese türkischen Großfamilien, die mit etlichen Koffern, zig Kartons, Rucksäcken und Taschen am Flughafen stehen und ewig lange am Flughafenschalter mit dem Personal diskutieren? Ich kenne sie. Und kennen Sie die pubertierende Tochter der Großfamilie, die ihr Gesicht beschämt in einem Buch vergräbt? Das war ich. Jedes Jahr die gleiche Tortur. Ich stand etwas abseits, las und versuchte möglichst unbeteiligt auszusehen. Ab und an schüttelte ich meinen Kopf, trat unauffällig einen weiteren Schritt zur
STILLE.
Nichts. Es ist eine merkwürdige Stille am Telefon. Er, nennen wir ihn Yunus, schweigt. Dann ringt er nach Worten. „Wie bitte?“ Er räuspert sich. „Wie kommst du da drauf?“, fragt er. „Also, das sagen ja viele, aber … Ich bin nicht so. Bin ich nicht.“ Die Stimmung ist angespannt. Ich entschuldige mich. Ich entschuldige mich für die unangenehme Situation, in der wir uns beide jetzt befinden. Yunus ringt nicht nur mit Worten, er ringt mit sich. „Es tut mir wirklich
SCHWEIGEN WERDE ICH GANZ SICHER NICHT
Das ist für dich. Du hast gekotzt. Immer wieder, am liebsten auf meinem Blog. Lass es raus, habe ich gedacht. Sollen doch alle sehen, wie krank du bist. Und trotzdem habe ich deine Kotze aufgewischt, weil ich den Gestank nicht mehr ausgehalten habe. Lange stand der Kotzeimer bei mir herum, jetzt kriegst du ihn wieder. Bitte schön, deine Kotze. Advent, Advent, ein Moslem explodiert, hast du in weihnachtlicher Stimmung geschrieben. Und dich gefreut. Häufig hast du dir
ZERRIEBEN
Zürich, Dezember 2011 In den Monaten vor ihrem Verschwinden schaute sich Seher stundenlang Videos von islamischen Predigern im Internet an. Anfangs ist die religiöse türkische Familie unbesorgt. Dann distanziert sich Seher immer mehr von ihren Eltern. Schließlich kritisiert sie ihren Vater, er würde sein Geld unislamisch verdienen. In diesem Haushalt könne sie deshalb nicht Essen, nicht Trinken, das sei nicht halal, nicht islamkonform. Dann verschwindet sie. Zwei Wochen später erreicht die Familie dann ein Anruf von einer
HER MIT DER SCHMUTZIGEN WÄSCHE!
drawing by me. Mal unter uns. Wenn ich schon Rassismus und Islamophobie in der Gesellschaft anprangere, dann muss ich bitte schön auch über die vielen Probleme innerhalb der muslimischen Gemeinden sprechen, nicht wahr? Ein bisschen auf die Köppe der Muslime hauen. Na klar, her mit der schmutzigen Wäsche! Eine sehr beliebte schmutzige Wäsche ist ja der Sexismus, das Patriarchat und die unterdrückten Frauen der Muslime. Darum ging es kürzlich auch im Artikel der ägyptisch-amerikanischen Journalistin und Aktivistin
DREI ANLÄSSE: FEIERN MIT DEN OHREN
Zwei Jahre sind es nun mittlerweile schon, seitdem ich regelmäßig eine Kolumne in der Taz führe. Zwei Jahre, in denen ich meine Beobachtungen und Eindrücke, meine Gedanken und Reisen einem größeren Publikum präsentieren durfte. Danke dafür, liebe Taz! Viele der Kolumnen waren sehr persönlich, manche handelten von Menschen, die mir sehr nahe standen. Manchmal von Fremden, mit denen sich unsere Wege zufällig kreuzten. Erlebnisse, die mich sehr prägten, Gedanken, die mich sehr beschäftigen.Eine schöne Zeit
WENN FRAUEN DAS KOPFTUCH ABLEGEN.
Auf einer Geschäftsreise in Europa will es die ägyptische Journalistin Nadia El Awady endlich einmal ausprobieren: das Leben ohne Kopftuch. Nach Jahren nimmt sie es zum ersten Mal in der Öffentlichkeit ab. Sie läuft durch die Straßen und wartet auf eine Reaktion. Nichts passiert. „War ich immer so unsichtbar?“, fragt sie sich. Und während die Menschenmassen an ihr vorbeiströmen, fühlt sie, dass sie in der Masse untergetaucht ist – eine von vielen. Es war ein komisches